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Was ist Anencephalie?

in Anenzephalie- Was ist das genau? 06.11.2012 14:33
von niggilein • Admin | 24 Beiträge

Anencephalie ist eine angeborene Missbildung. Sie tritt ganz am Anfang der embryonalen Entwicklung auf. Das Wort Anencephalie bedeutet "ohne Gehirn", was allerdings nicht ganz zutrifft. Einem Kind in Anencephalie fehlen zwar Teile des knöchernen Schädeldachs, der Hirnhäute, der Kopfhaut und des Gehirns, das Stammhirn ist aber vorhanden.
Viele anencephale Babies sterben während der Geburt, jene, die überleben, haben eine Lebenserwartung von wenigen Stunden oder Tagen (Jaquier 2006). Es sind einige sehr seltene Fälle bekannt, von Kindern mit Anenzephalie, die mehrere Monate gelebt haben.
Ungefähr 20 Prozent der betroffenen Kinder haben zusätzliche Fehlbildungen (Botto, 1999)


Vorkommen:

Ein Kind auf ca. 1000 Geburten (in Mitteleuropa), geprägt durch geographische und bevölkerungsspezifische Unterschiede.
Häufiger bei Mädchen als bei Jungen. (Sadler, T.W. 2005)


Gibt es eine Therapiemöglichkeit?

Es besteht keine Aussicht auf Heilung für Kinder mit Anenzephalie.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinerlei Therapieangbote für Kinder mit Anenzephalie gibt. Die pädiatrische Palliativmedizin sorgt dafür, dass alle Bedürfnisse betroffener Babys und ihrer Familien gestillt werden.


Auftreten:

Anencephalie gehört zu den Neuralrohrdefekten. Das Neuralrohr formt sich zwischen dem 20. und dem 28. Tag nach der Zeugung (Sadler 1998). Die Zellen der Neuralplatte (Zellen aus denen sich später das zentrale Nervensystem bilden) rollen sich auf, um das Neuralrohr zu bilden. Wenn dieser Ablauf gestört ist, und sich das obere Ende des Neuralrohrs nicht schliesst, dann tritt eine Anencephalie auf. Teile des knöchernen Schädeldachs, der Hirnhäute, der Kopfhaut und des Gehirns können sich nicht entwickeln.
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Welches sind die Gründe der Anencephalie?

Die Gründe der Anencephalie sind noch nicht bekannt. Man nimmt an, dass es sich um ein Zusammenspiel zwischen Umweltfaktoren und genetischen Einflüssen handelt. (Sadler, 2005) Seit längerem aber ist bekannt, dass das Vitamin Folsäure eine vorbeugende Wirkung hat, Medikamente, die den Folsäurespiegel im Blut heruntersetzen (Pille, Valproate, Antimetabolika, u.a.) erhöhen dementsprechend das Risiko. Bei Frauen, die an Diabetes leiden, steigt die Wahrscheinlichkeit, ein krankes Kind zu gebären.
Chromosomale Anomalien, Genmutationen und teratogene Faktoren wurden in weniger als 10 Prozent der Fälle beobachtet (Holmes 1976)


Lebenserwartung:

Ungefähr ein Viertel der Kinder mit Anenzephalie sterben während der Schwangerschaft oder der Geburt. Die Lebenserwartung nach der Geburt liegt zwischen wenigen Stunden und 3 bis 4 Tagen. In seltenen Fällen kann das Kind bis zu 10 Tagen leben (Jaquier 2006). Es sind einige sehr seltene Fälle bekannt, von Kindern mit Anenzephalie, die mehrere Monate gelebt haben.


Wann kann die Anencephalie diagnostiziert werden?

Anenzephalie kann per Ultraschall ab der 11.-14. Schwangerschaftswoche zuverlässig diagnostiziert werden (Johnson SP et al, 1997). Die Fortschritte in der Ultraschalltechnik erlauben jedoch immer frühere Diagnosen.
Eine AFP-Bestimmung (Triple Test oder Erst-Trimester-Screening) im mütterlichen Serum (Blut) erlaubt die Wahrscheinlichkeit für einen Neuralrohrdefekt zu errechnen. Ein positives Resultat muss allerdings danach durch einen Ultraschall oder eine Fruchtwasserpunktion bestätigt werden. Die AFP-Bestimmung kann zwischen der 15. und der 20. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden, der optimalste Zeitpunkt ist die 16. Woche.


Was ist AFP ?

Alpha-FetoProtein ist ein vom Fötus produziertes Protein. Das Ungeborene scheidet es durch seinen Urin in das Fruchtwasser aus. Wenn das Kind einen Neuralrohrdefekt hat, tritt durch die offenen Stellen mehr AFP als normal ins Fruchtwasser aus. Durch die Plazenta gerät das AFP ins Blut der Mutter und kann so gefahrlos gemessen werden.


Ist die Diagnose sicher?

Anencephalie ist eine Missbildung, die sehr einfach auf dem Ultraschall zu erkennen ist. Hat ein qualifizierter Arzt die Diagnose nach der 16. Schwangerschaftswoche gestellt, besteht leider fast keine Hoffnung, dass er sich geirrt haben könnte.
Ein positives Resultat des Triple-Tests gibt allerdings nur eine Wahrscheinlichkeit an, dass das Baby einen Neuralrohrdefekt oder eine Trisomie 21 oder 18 haben könnte. In den meisten Fällen ist das Baby völlig gesund. Deshalb ist es unbedingt nötig weitere Untersuchungen (Ultraschall) durchzuführen, um zu bestätigen, ob das Kind wirklich an Anencephalie leidet.


Gefährdet ein Kind in Anencephalie die Gesundheit der Mutter?

Nein. Die Schwangerschaft mit einem Kind in Anencephalie ist nicht gefährlicher als eine normale Schwangerschaft.
In ca. einem viertel der Fälle entwickelt sich zu viel Fruchtwasser (Hydramnion), wenn das Baby kein Fruchtwasser schlucken kann. Wenn die Fruchtwassermenge zu gross wird, kann dies die Mutter stören. Vorzeitige Wehen können auftreten oder die Fruchtblase platzen. Um dem abzuhelfen, kann eine reduzierende Fruchtwasserpunktion (Fruchtwasserentlastung / Entlastungspunktion) durchgeführt werden. Dabei wird unter Ultraschallkontrolle mit einer Nadel Fruchtwasser abgezogen.


Wie sieht ein Kind mit Anenzephalie aus?

Der Körper eines Kindes mit Anencephalie ist völlig normal.
Sein Köpfchen hört oberhalb der Augenbrauen auf. Es hat meist Haare bis ca. in die Mitte des Hinterkopfes. Eine Oeffnung im Schädeldach legt eine weiche, dunkelrote Masse von Nervengewebe frei, die nur von einer feinen Membrane überzogen ist. Die Grösse dieser Oeffnung kann sehr stark variieren von einem Kind zum anderen. Die Augen können wegen der unpassend geformten knöchernen Augenhöhlen etwas hervorstehen.

Illustration of a baby with anencephaly

Verwendet mit Erlaubnis des CDC Centers for Disease Control and Prevention

Diagramm des Kopfes eines Babys mit Anenzephalie im Vergleich zu einem gesunden Babys:

Diagramm eines Babys in Anencephalie


Was "kann" ein Kind in Anencephalie?

Die meisten medizinischen Quellen werden Ihnen wahrscheinlich sagen, Babies in Anencephalie seien taub, blind, bewusstlos und könnten keinerlei Schmerz empfinden. Die Erfahrungen vieler Familien, die ein Kind in Anencephalie hatten, widersprechen jedoch diesen Aussagen.
Das Gehirn ist nicht gleichmässig ausgebildet bei allen Kindern in Anencephalie ausgebildet. Mehr oder weniger funktionierende Gehirnmasse kann anwesend sein. So können einige anencephale Babies durchaus schlucken, trinken, weinen, hören, Vibrationen (starker Lärm) und Bewegungen spüren, und sogar auf Licht reagieren. Das Wichtigste aber: sie spüren unsere Liebe. Denn die Liebe wird mit dem Herzen gegeben und genommen, dafür braucht es kein perfektes Gehirn.


Wie verläuft die Geburt eines Babys in Anencephalie?

Das Baby ist an der Auslösung der Geburt mittels seiner Hypophyse beteiligt und da diese bei einem Kind in Anencephalie abwesend oder unzureichend ausgebildet ist, geht die Geburt oft nicht spontan los. Aus diesem Grund bitten viele Mütter um eine Einleitung der Geburt Ende der Schwangerschaft. Da das Schädeldach fehlt, ist es sehr wichtig, die Fruchtblase so lange wie möglich intakt zu halten, damit diese den nötigen Druck für die Dilatation auf den Muttermund ausüben kann. Unter diesen Umständen wird die Geburt eines Kindes in Anencephalie meist gleich verlaufen, wird die selbe Zeit brauchen, wie die Geburt eines gesunden Kindes derselben Mutter.
Beobachtungen vieler betroffenen Mütter haben gezeigt, dass die Chancen für das Baby, die Geburt zu überleben, drastisch fallen, wenn die Fruchtblase künstlich zum Platzen gebracht wurde.


Kann ein Kind in Anencephalie Organspender werden?

Grundsätzlich ja. In der Praxis ist es aber in den meisten Ländern nicht erlaubt (u.a. in Deutschland und der Schweiz), da sich sowohl ethische als auch praktische Probleme stellen.
Organtransplantationen bei Neugeborenen stehen noch in den Kinderschuhen. Die kurzfristigen Konsequenzen sind wenig bekannt, über langfristige Auswirkungen sind noch gar keine Daten vorhanden.
Eine Organtransplantation von einem Kind in Anencephalie kann erst dann in Betrachtung gezogen werden, wenn das Baby als klinisch tot erklärt wurde. Die Bedingungen des klinischen Todes sind allerdings nur bedingt auf Neugeborene unter 7 Tagen anwendbar. Bei Kindern in Anencephalie funktioniert das Stammhirn bei der Geburt meist normal. Der Tod des Stammhirns ist meist sehr langsam und andere Organe können in der Zwischenzeit beschädigt werden und nicht mehr für eine Transplantation geeignet sein. Beobachtungen haben gezeigt, dass Babies in Anencephalie den Zustand des klinischen Todes (totale Abwesenheit jeglicher Reflexe und spontaner Atmung) nur selten erreichen, währenddem das Herz noch in einem normalen Rhytmus weiterschlägt. Eine Organspende von Babies in Anencephalie wäre demzufolge nur in seltenen Fällen durchführbar.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation schreibt im Buch "Der Hirntod als der Tod des Menschen" im Kapitel "Anenzephale Neugeborene als Organspender" auf Seite 73:
"Auch ist die Feststellung des Ganzhirntod-Kriteriums" nicht möglich, da durch regelmäßige Begleitmissbildungen der Augen und Ohren eine sachgerechte Prüfung der Hirnstammreflexe allenfalls eingeschränkt erfolgen kann, so dass zum Nachweis eines Hirnstamm-Funktionsausfalls praktisch nur der Apnoe-Test zur Verfügung steht; ein EEG ist ebenso wenig möglich wie eine Darstellung der Hirngefäße, da diese nicht (oder nur partiell) angelegt sind." Quelle: 2. überarbeitete Auflage und erweiterte Auflage, 1995.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich hier für einen uneingeschränkten Lebensschutz ungeachtet der Qualität und Länge dieses Lebens entschieden, wie es die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde und der Schutz des Lebens gebieten. Aus diesem Grunde kommt die Organentnahme bei anenzephalen Kindern nicht in Betracht.

In manchen Ländern ist es allerdings möglich bestimmte Gewebe, z.B. Herzklappen, Hornhaut, Knieknorpel oder Nieren zu spenden. Die obengenannten Probleme treten hier nicht auf, da diese Gewebe noch einige Stunden nach dem Tod entnommen werden können. Sie werden danach aufbewahrt oder weiterverarbeitet, bis ein geigneter Empfänger gefunden wird.


Wie hoch ist die Rückläufigkeitsrate?

In dem meisten Fällen handelt es sich um isolierte Missbildungen und es ist unwahrscheinlich, dass es zweimal in derselben Familie auftritt. Statistisch gesehen, beträgt das Risiko nach einem betroffenen Baby ein zweites Kind in Anencephalie zu bekommen 2 - 4%.


Kann Anencephalie verhindert werden?

Seit längerer Zeit bereits hat man festgestellt, dass die Einnahme des Vitamins Folsäure das Risiko von Neuralrohrdefekten beträchtlich sinken kann.
Wenn alle Frauen im gebärfähigen Alter täglich 0.4mg Folsäure einnehmen würden, und das vor und mindestens bis Ende des ersten Trimesters der Schwangerschaft, so könnten 50 - 70% der potentiellen Fälle von Anencephalie und Spina bifida verhindert werden (Czeizel and Dudas, 1992).

Quelle: http://www.anencephaly.info/d/faq.php


zuletzt bearbeitet 06.12.2012 07:26 | nach oben


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